Deal der Versuchung - Just for me
Kapitel 1
Mailand, 23. Januar
Ein letztes Aufglimmen unter der Decke und das blasse Neonlicht erlosch. Nur ein kurzer Kontrollblick zurück, dann huschte Stella vorbei an zwei knallroten flachen Sesseln, durch den hellen Flur zur Tür.
»Milano bei Nacht, ich liebe diese Stadt«, raunte sie.
Die goldenen Fassaden des menschenleeren Straßenzuges spiegelten sich im Glanz ihrer dunklen Augen. Durch die Häuserflucht der hohen engen Gasse strahlten sternförmige Lichter. Spontan erinnerte sie der Anblick an den Stern von Betlehem, jedes Mal ein ehrfürchtiger Gänsehautmoment. Dabei lag sie in Gedanken schon jetzt in seinen Armen. Genau dreiundzwanzig Tage war es her, dass ihr Vater, Andrea De Luca, anlässlich des Jahreswechsels die Verlobung seiner Tochter Stella Maria mit Michele Paci bekanntgegeben hatte. Der Beginn eines neuen Jahres war hierfür ein sehr passender Augenblick. Schmunzelnd dachte sie an die warmen Worte des mächtigen Mannes. Ein einzigartiger Augenblick, nie zuvor war sie stolzer, seine Tochter zu sein. Der Weg zu ihrem Apartment im Zentrum der pulsierenden Stadt war kurz. Natürlich hatte es Andrea ausgesucht.
»Ich möchte dich nicht bevormunden«, hatte er erklärt. Stella wusste, so etwas lag ihrem Vater fern. »Meine Wahl ist nur zu deinem Schutz gedacht und obendrein sehr praktisch.« Die Erinnerung an sein warmes Lächeln schummelte sich in ihr Herz. »Schau Stella, weniger als fünfzehn Minuten brauchst du zu Fuß durch die Altstadt, um deine Büro- und Geschäftsräume zu erreichen.«
Ihre silbernen Stiefeletten klapperten über die Steine des rechteckigen Pflasters. Im Glas der riesigen Schaufenster glänzten die Schatten der vor jeder Tür stehenden Zitronenbäume. Noch ein letztes Geschäft und sie wurde von Mailands gedämpftem nächtlichen Lärm empfangen. Ein weitläufiger Platz, verkehrsberuhigt und von restaurierten Geschäftshäusern gesäumt, den musste sie noch überqueren. Mit jedem Schritt, den sie Michele näherkam, wurde der Schwarm bunter Schmetterlinge in ihrem Bauch wilder. Sie hatte ihm kurzerhand eine Nachricht geschrieben. Dass er ihr bis eben nicht geantwortet hatte, war nicht ungewöhnlich.
Michele Paci war ihr Top-Model und somit ein viel beschäftigter Mann. Außerdem hatte sie es nicht mehr ausgehalten und ihn deshalb gebeten, früher ins Apartment zu kommen. Wenigstens drei Stunden hätte sie noch gebraucht, um den Auftrag abzuwickeln - so war ihr Plan heute Morgen. Ein tiefer Seufzer und alle Pläne waren nichtig. Gegen ihren aufmüpfigen Körper war sie machtlos. Wie so oft hatte ihr Blick hingerissen an seinem heißen Gesicht geklebt. Unzählige Plakate, Fotos und Aufsteller von dem sehr attraktiven Fünfundzwanzigjährigen zierten die Wände ihrer Büros. Das verschmitzte Lächeln auf ihrem Schreibtisch galt jedoch nur ihr. Zumindest heute Abend wollte sie seine kristallblauen Augen für sich allein haben und in ihnen atemlos versinken.
Das luxuriöse Apartmentviertel begann direkt hinter den hellen Torbögen der historischen Altstadt.
»Buona sera Stella«, quietschte ihr Nachbar Mattes, der mit Pekinese ’Principessa’ Gassi ging.
Hässlich, aber mit blauem Blut, dachte Stella grienend. Eben wie ihr Herrchen.
Augenblicklich zog ein strahlendes Lächeln über die eingefallenen Wangen des betagten Mannes.
»Grazie, Mattes. Dir auch einen schönen Abend.« Sie zwinkerte ihm frech zu wie immer, wenn sie ihm begegnete. »Buona Notte!«
Von sehnsüchtiger Vorfreude gepackt, drehte sie sich um. Ihr schneller klimpernder Gang vervielfältigte sich unter dem fünf Meter hohen Gewölbe. Gehalten von acht Säulen, im Durchmesser von einem halben Meter, trennte es den Villenzugang von der belebten Straße. Neben dem Weg erzeugten kugelförmige Lampen gelbes Licht. Dessen helle Punkte schimmerten matt im Glas der Empfangsveranda mitten im grünen Innenhof.
Als Stella das Foyer betrat, befand sich ihr Finger quasi schon auf dem runden Knopf, um den Fahrstuhl zu holen. Rote schmale Teppiche, die Geräusche dämmend zu Fahrstühlen und Treppenhaus führten, verschluckten den hektischen Schritt. Nervös verfolgten ihre Augen die Anzeige zwischen den Liften.
»Verdammt, komm schon«, nörgelte sie ungeduldig.
Dabei standen ihr vier Lifte zur Verfügung. Getrennt von drei Meter hohen sandgelben Wänden, befanden sie sich links wie rechts. Bernsteinfarbenes leuchtendes Holz verlieh dem Foyer Klasse. Die ungewöhnliche Maserung passte hervorragend zu dem graugesprenkelten Weiß der riesigen Bodenfliesen.
»Ping«, vernahm sie und verließ den Fahrstuhl. Wenige Augenblicke, nachdem sie die Apartmenttür geöffnet hatte, fror ihr das Lächeln auf den Lippen ein.
Hinter der zweiflügligen Eingangstür befand sich ein offener Wohnbereich. Bei der Erhaltung der Stuckdecken und ihren einzigartigen Blütenornamenten hatte der Architekt ein sicheres Händchen bewiesen. Deshalb hatte er, mit Ausnahme des später hinzugefügten Bades, auf geschlossene Räume verzichtet. Ein einziger wandbreiter Durchlass trennte die Diele vom Wohnzimmer. Kein Geräusch aus dem Innern entging ihr. Ihr wacher Verstand wusste sofort, was sie nur Sekunden später zu sehen bekam.
Instinktiv verschwanden ihre verräterischen Stiefeletten von den Füßen. Wie eine Raubkatze bewegte sie sich über einen persischen Teppich hinweg, an den minzgrünen Wänden entlang und durch das verspielte Esszimmer hindurch dem gedämpften Stöhnen entgegen. Ihr Schlafzimmer verfügte über einen ähnlich offenen Grundriss, wie das restliche Apartment. Einfallendes Mondlicht der milden Winternacht schien durch ein schmales Fenster und warf seltsame Schatten auf zwei Figuren vor ihrem Bett. Der markante Hintern, auf den das einfallende Licht indirekt fiel, gehörte zu Michele, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringenwollte.
Der längliche schmale Raum, dessen einziges Fenster, im Gegensatz zu den Übrigen im Haus, etwas mickrig ausfiel, machte aus Stella einen unsichtbaren Zaungast. Vor der linken Wand stand hinter einer flachen Kommode ein breites Boxspringbett mit abgestepptem geschweiftem Polster am Kopfende. Ihre Lieblingsfarben Gelb und Violett durchzogen den Raum. Zitronengelb strahlten Gardinen, Kissen und Tagesdecke. Nach dem violetten Ton des Stoffes um den Bettkubus hatte sie lange suchen müssen. Nur ein Blick auf die zerwühlten Kissen genügte ihr um zu wissen, dass das Treiben schon eine Weile im Gange war.
Michele stand nackt neben dem Bett. Am Fußende hockte auf dem karierten Polster ihres Lieblingshockers der nackte Hintern einer Rothaarigen. Jede einzelne Schweißperle auf der makellosen braungebrannten Haut ihres Verlobten konnte Stella erkennen. Von der Frau sah sie außer dem roten Haarschopf nur Umrisse. Lange feingliedrige Hände der offenbar großen schlanken Frau strichen auffordernd über seine Seiten. Michele keuchte. Beim Klang des ruchlosen Tones, der seine Kehle verließ, wich Stella zurück in den dunklen Schatten der Wand.
»... mach ihn weit auf, komm schon Baby«, forderte er ungeduldig.
Die Frau stöhnte und tat, was er verlangte. Seine gestählten Oberarmmuskeln spannte er an, damit er ihre roten Haarsträhnen um seine Faust wickeln und ihren Kopf mit einem einzigen Ruck heranziehen konnte. Gierig umschloss sie ihn mit den Lippen. Der stämmige Kerl erschauerte förmlich, während sich sein straffer Gesäßmuskel weiter anspannte. Der perfekte Männerkörper wirkte angestrengt vom kleinen Zeh bis unter den jetzt feuchten schwarzen Haaransatz. Seine sonst bis aufs einzelne Haar gestylte Frisur verwandelte sich zu einer wilden Mähne.
Würde dein praller Schwanz nicht gerade in dem gierigen Schlund dieser rothaarigen Schlampe stecken, dachte Stella und vergaß jeden weiteren Gedanken.
Sie bemerkte, wie sehr sie dieser Anblick erregte, und stand noch immer zur Salzsäule erstarrt, unfähig, irgendeine Reaktion zu zeigen. Ihr gegenüber hatte sich Michele nie so dominant gezeigt. Sie wusste, wie sehr sie ihn dafür geliebt hätte. Auch wenn sie ihn oft genug dazu aufgefordert hatte. Seine sanfte Liebelei langweilte sie und nicht selten blieb sie unzufrieden zurück. Während er anderswo nicht müde wurde, den Bad Boy zu geben, hatte er Stellas Lust förmlich verhungern lassen. Nun stand sie, verborgen im Halbdunkel, und erlebte die Liebe ihres Lebens in einem heißen Live-Porno und das in ihrem Schlafzimmer.
Heftig, beinahe unkontrolliert schob er sich zwischen die Lippen der Frau. Stella konnte sie um Atem ringen hören.
Ja, gut so, ersticke das Miststück!, feuerte ihn ihr gekränkter Stolz an.
Gefangen im Rausch der unglaublichen Bilder und ihrem Entsetzen, stand Stella steif auf dem Holzparkett und spürte, wie jede ihrer Zehen versuchte zu verhindern, dass sie sich vom Tatort entfernte.
»Das gefällt dir?«, tönte Michele heiser und schob sein Becken noch schneller und begieriger zu ihrem Mund. Inzwischen musste eine seiner kräftigen Hände sich förmlich an ihrer schmalen Schulter festkrallen, um sie nicht vom Hocker zu schieben.
Für diese Hingabe hätte Stella ihm einfach alles gegeben. Stattdessen hatte sie ihn nur zurückhaltend erlebt. Ihr Betteln und Fluchen hatte er nur mit einem mitleidigen Lächeln bedacht.
»Kannst du mich nicht wenigstens einmal hart rannehmen?«
Irritiert hatte er sie angesehen. Sein Kommentar: »Stella, eine Frau in deinen Kreisen sollte lernen, ihr Temperament zu zügeln«, hatte sie unsagbar wütend gemacht.
Mit einer Größe von einem Meter zweiundsechzig verfügte sie nicht gerade über Modelmaße. Trotzdem war ihr proportional perfekter Körper schlank und sportlich gebaut. Außerdem erlaubte ihr die explosive Mischung ihres italienischen und zugleich rumänischen Blutes eine Leidenschaft, von der er bis zu dieser Nacht kaum Gebrauch gemacht hatte.
Dann entzog er sich der Rothaarigen. Sein glänzender Penis wippte prall und nass. Micheles Gespielin protestierte energisch.
»Knie dich aufs Bett«, raunte er dunkel.
Sie kicherte vergnügt und leckte seinen Geschmack von den geschwollenen Lippen. Folgsam und unverschämt grinsend reckte sie ihm ihren Hintern entgegen. Michele trat hinter sie, griff nach seinem zum bersten angeschwollenen Glied und neckte ihren nassen Eingang.
Zwischen Ekel mischte sich Neid. Wie in Trance betrachtete Stella den auf- und abfedernden Schwanz, den er vor Ungeduld zwischen seiner harten Faust rieb. Während ihre bescheuerte, der Realität vollkommen entrückte Libido zwischen ihren Beinen einen feuchten Veitstanz veranstaltete, leuchtete seine Haut im Schatten des Mondes. Sie wusste, wie sich jetzt seine Nasenlöcher aufblähten. Beim Anblick seiner atemberaubenden Erektion zog sich in ihr alles zusammen.
Sie wollte nur noch schreien: Ich bringe euch um!
Hoch aufragend presste er sich wüst und unersättlich in die Rothaarige. Mit spitzem Aufschrei und wie elektrisiert, flehte sie um zunehmende Härte.
»Baby, was meinst du ...«, knurrte Michele verrucht, »... ob ich meinen Prachtschwengel in deinen rosigen Hintern schiebe?«
»Das wirst du nicht«, kicherte sie hysterisch.
Dennoch reckte sie sich ihm zügellos entgegen, sah dabei mit fiebrigem Blick zwischen ihren Schenkeln hindurch nach hinten und leckte lüstern über ihre Lippen. Vermutlich war sie ganz scharf darauf. Angewidert drehte sich Stella weg. Das Bild, wie er sich aus ihr zurückzog, seine hektischen Finger ihre Nässe zwischen den bebenden Backen verteilten und er sich dann mit nur einem Stoß vollständig in sie schob, verfolgte sie bis zur Apartmenttür. Noch im Flur und Treppenhaus, bis sich die Fahrstuhltür endgültig vor ihrem heißen Gesicht verschloss, hörte Stella die von Schmerz und Lust erfüllten Schreie.
Die, und Micheles animalischen Akt vor Augen, begleiteten sie auf dem Weg durch das in wunderschönen Farben leuchtende nächtliche Mailand zurück in ihr Büro. Ihr Stolz erlaubte es ihr, dem Instinkt zu folgen. Mit starrem Blick eilte sie vorbei an bummelnden Paaren, die sich küssend an den Händen hielten. Mit leerem Kopf, den Blick stur auf den Weg gerichtet, überquerte sie die alte steinerne Brücke. Der darunter in bunten Facetten funkelnde Strom plätscherte in argloser Stille vor sich hin. Ohne ihm Beachtung zu schenken, bog sie in die Designergasse ein. Nur einen Atemzug später betrat sie den hoch aufragenden Altbau.
Kapitel 2
Mailand
Scheppernd flog die Tür ins Schloss. Ein Handgriff und unter jeder Decke zuckten Neonröhren auf. Ähnlich wie im Foyer des Apartments oder zuvor auf dem Straßenpflaster folgte jedem ihrer Schritte ein müdes ‚Plong‘. Stella betrat ihr Büro, warf die Schlüssel auf die Ablage und fläzte Sekunden später fluchend in einem voluminösen Ledersessel hinter ihrem Schreibtisch. Wie gebannt hingen ihre Augen an Micheles Porträt an der Wand. Sein Anblick bohrte sich wie ein Pflock in ihr trommelndes Herz.
Ihr Brustkorb hingegen hob und senkte sich geradezu unbeteiligt. Augen eines Raubtiers versprühten giftige Blicke auf das sonnengebräunte Antlitz hinter entspiegeltem Glas. Der Sessel knarrte, als sie die Beine auf dem Schreibtisch verschränkte. Eine Angewohnheit, die sie mit Andrea teilte.
Papa, dachte sie stöhnend und legte ihren Kopf auf dem ockerfarbenen Lederrand ab.
Den Ausdruck in seinem vielsagenden Gesicht fürchtete sie jetzt schon. Dabei war nicht zu erwarten, dass er die Situation mit nur einem Wort kommentieren würde. Für eventuelle Repressalien des Familienoberhauptes konnte sie allerdings keine Hand ins Feuer legen. Was ihr im Augenblick komplett egal war. Andrea De Luca war so stolz auf seine Tochter gewesen. Er hatte es vorgezogen, am Gründungstag von ‚Milano Moda De Luca – Herrenausstatter / Europa‘, im Hintergrund zu bleiben. Zwei Jahre war das jetzt her. Genauso lange gehörte Michele zu ihrem Leben. Auch wenn Andrea darauf bestanden hatte, die Karriere seiner Tochter zu finanzieren, hielt er sich strikt aus ihren Geschäften und Privatangelegenheiten heraus. Es sei denn, sie bat ihn darum.
Ein erfolgreicher Start mit dem Namen De Luca und allem, was damit in Verbindung stand, war vorprogrammiert gewesen. Andrea hatte nur so viel Erfahrung in das Mode- und Designergeschäft einfließen lassen, wie es Stella akzeptieren konnte.
»Jeder, der in Mailand das Licht der Welt erblickt, hat das Mode-Gen.«
Das war sein Lieblingssatz. Dass sich Stella frühzeitig für Stoffe und Farben interessierte, hatte sein Herz mit Freude erfüllt. Trotzdem kannte er das Haifischbecken, dem sich seine geliebte Tochter bereit war auszusetzen. Die Idee, sich auf kleine und exklusive Kundenwünsche abseits der etablierten Marken zu konzentrieren, hatte Andrea schmunzelnd als clever bezeichnet.
»Ich werde sämtliche Geschäftspartner bitten, sich von Kopf bis Fuß deinem Geschmack unterzuordnen.«
Eine echte De Luca empfand bei derartigen Abmachungen keinerlei Skrupel. Im Gegenteil, sie hielt sie für fair und loyal gegenüber ihrem erfolgreichen Vater. Darüber hinaus hätte es niemand gewagt, den Wünschen des Patriarchen nicht zu entsprechen und am wenigsten Stella. Das machte ihr keine Kopfschmerzen, schließlich profitierte sie von seiner Macht. Illusorische Fantastereien, wenn es um Geschäfte ging, dafür hatte sie nichts übrig. Da dachte sie ähnlich realistisch wie ihr Vater. Möglicherweise war sie mit dem, was sie tat, um ein Vielfaches berechnender als Andrea De Luca. Er hatte ihr in ihren sechsundzwanzig Lebensjahren nie etwas anderes vorgelebt.
Trotzdem unterschied er sich durchaus von anderen Oberhäuptern alteingesessener italienischer Familien. Einigen von denen war sie seit frühester Kindheit in Gegenwart des Vaters begegnet. Andrea akzeptierte die Wünsche, Meinungen und Entscheidungen seiner Frau und Tochter. Ein Verhalten, das in den üblichen Kreisen gern belächelt wurde. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Offen hätte es wohl niemand gewagt, davon war sie überzeugt. Als sie ihm die Liebe zu Michele Paci offenbarte und sich tiefe Falten um seine Augenbrauen zogen, hatte sie erwartet, dass er die Verbindung verbieten würde.
Er hatte sie sanft zu sich gezogen, ihr tief in die Augen geblickt und lächelnd gesagt: »Liebe kann man nicht verbieten, das weiß ich. Deinem Glück stehe ich nicht im Weg, auch wenn ich Zweifel habe.«
Damit hatte Michele praktisch zur Familie gehört. Der Gedanke, wie schnell sie in den Bann dieser kristallblauen Augen geraten war, ließ sie jetzt vor Wut kaum noch atmen. Michele Paci war ihr empfohlen worden. Er brachte alles mit, was ein so innovatives Unternehmen wie ihres erforderte. Das hatte, abseits alter Strukturen, so manch namhaftes Model abgeschreckt. Sie waren nicht bereit, eine Newcomerin zu unterstützen. Der Name De Luca, der Stella einiges in ihrem Leben einfacher machte, stellte die Suche nach einem passenden Model vor ein Problem. Keiner der Etablierten wollte seinen Namen wirklich im Zusammenhang mit der Familie De Luca genannt wissen - selbstverständlich nicht offiziell. Stella hätte Andrea bitten können, in seinem Umfeld zu suchen. Das verfügte mit Sicherheit über einen geeigneten Kandidaten, wenngleich der ihrer Familie in irgendeiner Form verpflichtet gewesen wäre.
Zunächst kühl und präzise nachdenkend klopfte sie unentwegt mit einem Bleistift auf die Tischkante. Das italienische sowie rumänische Blut in ihren Adern brodelte wie Lava kurz vor dem Ausbruch. Die Mischung von Stolz und Rache, die in ihrem Inneren tobte, war einer De Luca mehr als würdig und bedeutete für einen potenziellen Feind eine unermessliche Gefahr. Nach kurzer Überlegung griff Stella zum Telefon. Sie wählte eine Nummer, die sie bei sich trug, solange sie denken konnte. Die hatte sie noch nie zuvor genutzt. Bisher fürchtete sie mögliche Folgen, sollte sie jemals von einem solchen Anruf Gebrauch machen.
Der unsichtbare Schutz für sie und ihre Mutter war ihr bis heute bewusst. Zunächst hatte sie nichts hinterfragt, was sie in ihrer Kindheit erlebte. Es gehörte zu ihrem Alltag. Das hatte sich schlagartig geändert, als sie in die Pubertät kam. Sie rebellierte wie alle Teenager. Andrea hatte diese Phase mild lächelnd und gelassen zur Kenntnis genommen, sie beobachtet, Fragen, soweit es ihm möglich war, beantwortet und jeden Wutausbruch mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen lassen, dabei ihr explosives Temperament mit Stolz betrachtet.
Naiv war sie der Meinung gewesen, dass alles, was man sich von alten Familien und ihrer Vergangenheit erzählte, auf ihr Leben keinerlei Einfluss nahm. Bis zu dem Tag, als sie nur knapp einem Überfall entgangen war. Nur Sekunden, nachdem sie die vier Typen eingekreist hatten, kam aus dem Dunkel die Rettung. Wie aus dem Nichts war plötzlich in der schäbigen Gasse hinter dem Club, in dem sie an diesem Abend ohne Erlaubnis mit ihren Freunden feierte, eine schwarze Limousine aufgetaucht. Die Männer in schwarzen Anzügen hatten die Angelegenheit schnell, geräusch- und spurlos geregelt. Für Andrea war der Vorfall mit seinem glücklichen Ausgang kein Thema, worüber er mit Stella sprechen wollte. Von nun an leugnete sie weder, dass jeder ihrer Schritte begleitet wurde, noch deren absolute Notwendigkeit.
Wie ein Schatten folgten ihr die Schutzengel. So nannte Andrea ihre Leibwächter, ganz egal, wo oder wann, sie waren meist unauffällig, aber immer in unmittelbarer Nähe. Stella begriff im schlimmsten Moment ihres Lebens, warum der Punkt Sicherheit mit Andrea nicht verhandelbar war.
»Mario?«
Stille.
»Si, Signora.«
Die kratzige, raue Stimme ließ Stella zittern. »Ich habe einen Auftrag für Sie.« Erneut war kein Ton zu hören. »Sie kennen meinen Verlobten Michele Paci?«
»Si ...«
Die Leitung knisterte leise. Ihr Atem rauschte in den Ohren. »Ich möchte, dass er aus meinem Leben verschwindet. Haben Sie mich verstanden?«
»Si ...«
Die emotionslose Stille machte sie rasend. Dennoch versuchte sie, möglichst rational zu klingen. »Gut, Sie haben eine Stunde.«
»Si, Signora.«
Dann war die Leitung tot. Als sie auflegte, zitterten ihre Hände. Einmal tief durchatmen, dann machte sich ganz langsam Genugtuung breit. Sie hob erneut ihre Beine auf die Tischplatte und ballte ihre Fäuste. Ihr wurde klar, dass ihr bisheriges Leben und alle Pläne, die so sicher schienen, unwiderruflich in Scherben lagen. Stella schloss die Augen. Sofort holten sie die glücklichsten Momente mit Michele ein.
Wenige Tage, nachdem er ihr zum ersten Mal gegenüber gesessen hatte, lud sie ihn in ihr Apartment ein. Michele empfahl sich allein schon wegen seines prächtigen Körperbaus für eine exklusive Nacht. Dass sie sich in diesen attraktiven Mann verliebte, war damals keine Option gewesen. Trotzdem war der sonst wilden und den Männern sehr zugetanen Stella genau das passiert.
»Nur ein einziges Mal hast du mir eine ähnlich aufregende und intensive Aufmerksamkeit entgegengebracht.« Ihr Blick bohrte sich in die stummen Augen des Bildes auf ihrem Schreibtisch. Als sein wohlgeformter Schaft urplötzlich in ihrer Erinnerung auftauchte, erschien vor ihren Augen das widerliche Rot. Unsagbare Wut schoss erneut in ihre Brust. Der Bleistift endete an der Wand und aus ihrem Mund quoll ein Schrei hervor, der vermutlich durch das gesamte Geschäftsgebäude hallte.
Das Schrillen des Telefons riss Stella aus ihren Erinnerungen. Starr vor Schreck hing ihr Blick an dem nervtötenden Metall. Wie in Trance bewegte sich ihre Hand. Der kalte, distanzierte Ton erlaubte ihr die Rückkehr zur Emotionslosigkeit. Offenbar war die Stunde vorüber. In nur zwei Sätzen teilte ihr Mario die Erfüllung des Auftrages mit und erklärte, dass sie in einer Stunde wieder in ihr Apartment zurückkehren konnte. Was auch immer in ihr vorging, sie war nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu analysieren, geschweige denn, sich mit den Konsequenzen ihres Anrufes auseinanderzusetzen.
Stella machte sich auf den Heimweg. Vorsichtig schloss sie die Tür auf und das Erste, was sie wahrnahm, war ein angenehmer Blütenduft. Wieder im Dunklen schlich sie durch die Diele in Richtung Schlafzimmer. Dort blieb sie zunächst unschlüssig stehen. Mit rasendem Puls tastete sie nach dem Lichtschalter.
»Oh, mein Gott«, murmelte sie erstarrt. »Was habe ich getan?«
Das verspielte Zitronengelb hatten Marios Männer durch graue und schwarze Töne ersetzt. Nichts von dem, was sich zuvor in ihrem Schlafzimmer befand, war noch zu sehen. Möbel, die Teppiche, Gardinen, Lampen, einfach alles war verschwunden. Hinter dem neuen Bett erstreckte sich ein flaches Polster in einem bedeckten Anthrazit. Die Wände schimmerten grün, jedoch matt und einem Grau ähnlich. Schwarze, bodenlange Schals umrahmten das schmale Fenster. Rechts und links auf der flachen Ablage neben den weißen Kissen standen kugelförmige Lampen. Letztendlich fehlte kein Möbelstück, selbst ein Hocker lehnte an der hinteren Wand.
Jetzt überzog ihren Körper ein empfindliches Frösteln. Der Anblick dieser Endgültigkeit ließen ihre Augen nervös zucken. Dabei passte jedes noch so kleine Detail zu der Art ihres Auftrages. Plötzlich bemerkte sie eine unglaubliche Erschöpfung. Hilflos ihren Gefühlen ausgesetzt, warf sie sich in die weiße sterile Bettwäsche. Die Wut, die sie bis eben kalt und rational handeln ließ, um möglichst emotionslos zu agieren, war verschwunden. Tiefe Sorgenfalten bildeten sich über ihrer Stirn. Frierend zog sie sich die Decke über ihren Körper. Ohne sich auszuziehen und das Licht zu löschen, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.